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Peter Carnavas: Marie – das stille Mädchen. Carl-Auer Verlag, Heidelberg 2019

Stille Menschen sind etwas Besonderes!

Es gibt laute Menschen, es gibt leise Menschen. Die lauten, extrovertierten nimmt man immer sofort wahr, ob nun positiv oder negativ. Sie drohen nicht, unterzugehen. Ganz anders ist es mit den stillen, introvertierten Menschen. Oftmals werden sie übersehen, da sie nicht so sehr auffallen. Doch was geht in den stillen Menschen, insbesondere den stillen Kindern, vor? Ein Beispiel hierfür wird in Marie – das stille Mädchen von Peter Carnavas erzählt.

Der Autor

Peter Carnavas schreibt Bilderbücher sowohl für Kinder als auch für Erwachsene. Dabei erhielt er schon mehrere Auszeichnungen, wie den Queensland Premier’s Literary Award, den Children’s Book Council of Australia Crichton Award und den Speech Pathology Australia’s Book of the Year Award. Seine Bücher wurden in viele Sprachen (z. B. ins Deutsche, Italienische, Portugiesische, Niederländische) übersetzt. Er lebt mit seiner Frau, zwei Töchtern, einem Hund und einer Katze in Australien.

© Carl-Auer Verlag 

Inhalt

„Wer keine Aufmerksamkeit bei anderen Menschen findet, den »gibt es für sie nicht«. Marie ist ein stilles Mädchen. Die anderen Familienmitglieder machen so viel Lärm, dass sie Marie kaum bemerken – oder sonst etwas, das in der Welt passiert. Marie aber hört die leisen Töne, die das Leben so vielfältig machen: die Libelle, die leise summt, den Hund, der sachte seufzt oder das Knarzen des Baumes am Ende der Straße. Deswegen ist es wichtig zu erfragen, was die stillen oder flüsternden Menschen hören und sehen.“ (Klappentext)

Kritik und Fazit

Das Cover erscheint in einem ruhigen, natürlichen Grünton. Unter dem Titel in weißer Schrift sehen wir Marie, das Mädchen, um welches es in diesem Buch geht. Sie hält einen Kanister mit Zweig in der Hand und schaut zu einem Vogel zurück, welcher zu ihr hinzufliegen scheint. Ihre Naturverbundenheit wird ganz deutlich. Die Stille und Ruhe wird außerdem sehr schön transportiert.

Die Geschichte beginnt mit einigen farbigen Bildern, in welchem das Leben und die Welt der kleinen Marie beschrieben wird. In kurzen Sätzen erfahren wir, wer Marie ist. Sie macht sich viele Gedanken, ist auf leisen Füßen unterwegs und flüstert vor sich hin. Sie scheint in ihrer eigenen, kleinen Welt zu leben und die Natur um sich herum zu genießen. Doch mit der Ruhe ist es schnell vorbei, denn Mama, Papa und der Bruder machen so viel Lärm, dass Marie kaum dagegen ankommt. Immer wieder wird sie dazu aufgefordert, lauter zu sprechen und sie gibt sich wirklich große Mühe, doch es reicht nie aus. Immer ist ihre Stimme noch zu leise. Also hört Marie ganz auf zu sprechen. Sie scheint zunächst damit glücklich zu sein, denn sie hat stets ein Lächeln auf den Lippen. Doch dann wird ihr klar, dass die anderen sie nicht zu vermissen scheinen. Ihre Gestalt verblasst zusehends, als sie mitansieht, dass alle anderen mit sich und ihren Dingen beschäftigt sind.
Doch dann erinnert sich die Familie an Marie und beginnt sie verzweifelt zu suchen. Erst im Haus, dann im Garten und zuletzt in der ganzen Nachbarschaft. Doch plötzlich entdecken sie Marie und Mama, Papa und der Bruder sind überglücklich, sie wiedergefunden zu haben. Die Familie hat daraus gelernt, sie müssen mehr Rücksicht auf Marie nehmen. Marie muss nicht immer lauter sprechen, vielmehr nimmt sich die Familie Zeit, in Ruhe die kleinen Dinge dieser Welt zu entdecken, die ihnen bisher durch ihr lautes Verhalten verborgen geblieben waren.

Ganz besonders gelungen empfinde ich das Ende dieses Buches. Marie zeigt eindeutige Züge mutistischen Verhaltens. Ich habe schon einige Bücher zum Thema Mutismus vorgestellt (eine Liste dazu findet ihr unten), doch dort ging es immer darum, dass das Kind seine Stimme wiederfindet, und an Lautstärke gewinnt. Doch das ist oftmals zu schwer für stille Menschen. Es widerspricht der eigenen Natur, lauter zu werden.
Nicht so in Marie – das stille Mädchen. Hier sind es die anderen Familienmitglieder, die sich zurücknehmen, die die Welt aus den Augen Maries sehen wollen und merken, dass Stille nicht unbedingt ein Problem darstellen muss, sondern auch etwas ganz Wichtiges und Zauberhaftes sein kann.

Marie – das stille Mädchen ist ein ganz wunderbares Bilderbuch, welches ein besonderes Mädchen beschreibt. Eines, das still und dadurch sehr empathisch ist. Diese Eigenschaft ist also nicht schlecht, sondern in unserer heutigen Gesellschaft vermutlich einfach nur viel zu selten. Marie ruht in sich selbst und kann dadurch viel mehr von der Welt wahrnehmen, als andere. Mutismus ist nicht unbedingt eine Schwäche, sondern ebenso eine Stärke, die es gilt in den Alltag einzubauen, anstatt sie ausschließlich überwinden zu wollen.

Peter Carnavas
Marie – das stille Mädchen
36 Seiten
ab 3 Jahren
ISBN 978-3-96843-001-0

Weitere Kinderbücher zum Thema Mutismus:

Gabriele Kloes & Jutta von der Lühe: Es wird gut, kleine Maus. Mabuse Verlag, Frankfurt am Main 2016

Anne Gauß: Der Junge in der Nussschale. iskopress, Salzhausen 2013

Anne Gauß: Wolkentag – Eine Geschichte über Verlust und Trost. iskopress, Salzhausen 2018

Karen-Susan Fessel & Rosa Linke: Selina Stummfisch – Wenn Kinder schweigen. kids in Balance, Köln 2019

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