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Antje Kunstmann: Lauter leise Kinder – Vom Glück, ein introvertiertes Kind zu haben. Ullstein extra, Berlin 2022

Über die Bereicherung der Gesellschaft durch leise Kinder.

Lauter leise Kinder … ein vielversprechender Titel! Denn, wenn ich so darüber nachdenke, sieht man doch immer wieder Ratgeber über Kinder, die laut oder unruhig sind, die auffallen. Was aber ist mit den leisen Kindern und Menschen in unserer Gesellschaft? In der Schule gehen sie gerne mal unter und müssen sich immer wieder anhören, dass sie doch ein bisschen mehr am Unterricht teilnehmen sollen. Aber was bringen jene leisen Kinder mit sich? Was ist positiv am Leisesein? Wieso kann man Kinder nicht so nehmen, wie sie sind? Die Klärung all dieser Fragen habe ich mir von diesem Buch erhofft. Aber so richtig ist der Funke nicht übergesprungen. Als Mutter eines leisen Kindes habe ich nichts wirklich neues gefunden und hatte das Gefühl, dass sich die Autorin ziemlich im Kreis drehte. Für Lehrer oder Erzieher ist dieses Buch aber sicherlich gut geeignet, denn hier können sie mal ihren eigenen Blickwinkel wechseln und vielleicht etwas offener für leise Kinder werden.

Die Autorin

Antje Kunstmann (geboren 1974) ist Mutter von vier eher introvertierten Kindern und bezeichnet sich selbst auch als introvertiert. Sie arbeitet als Redakteurin bei der Brigitte und schreibt regelmäßig zu den Themen Psychologie, Familie und Erziehung. Die promovierte Biologin lebt in Hamburg.

© Ullstein Verlag

Inhalt

„An ruhige Kinder werden gerne Forderungen herangetragen, lebhafter zu sein, oder mehr aus sich herauszukommen. In unserer extrovertierten Welt fallen sie zunehmend auf, werden pathologisiert und mit Skepsis betrachtet. Dabei steckt so viel Stärke in den Stillen! Ihr Einfühlungsvermögen, ihre Fantasie, ihre Unabhängigkeit und Konzentration etwa. Damit diese Kinder nicht übersehen werden, müssen Bezugspersonen die Talente der Ruhigen erkennen, wertschätzen und fördern. Antje Kunstmann macht Mut, dass die stillen Kinder genau so richtig sind, wie sie sind. Eine Entlastung für alle Eltern von schüchternen, hochsensiblen oder introvertierten Kindern!“ (Klappentext)

Kritik und Fazit

Das Cover zeigt ein lesendes Kind auf einer Leiter sitzend. Im Hintergrund schweben Blumensamen. Es wird also auf jeden Fall ein – in diesem Moment – stilles Kind dargestellt. Der rosé-farbene Hintergrund lässt das Buch etwas mädchenhaft wirken, was ich nicht ganz so passend finde, da es ja auch stille Jungen gibt. Der Titel ist in großen Buchstaben unterschiedlicher Farben gestaltet worden. Vor allem jene Worte erregten mein Interesse an dem Buch.

Die Autorin setzt sich dann auch ziemlich bald mit einigen Begriffserklärungen wie Intoversion, Extroversion, Hochsensibilität und Schüchternheit auseinander. Dabei schlägt sie einen leichten und gut verständlichen Ton an, sodass man ihr sprachlich jederzeit gut folgen kann. Was mich im gesamten Buch allerdings sehr störte, waren die vielen Studien, die genannt wurden. Für mich bedeutete das immer wieder einen Bruch im Lesefluss und ich hätte mir daher lieber eine runde Zusammenfassung dessen gewünscht, als die ständige Aufzählung. Das wurde dann einfach zu viel, um alles greifen zu können, sodass das Lesen recht ermüdend war. So jagte eben leider eine Studie die nächste.

Es fehlte mir auch eine klare Struktur innerhalb der Kapitel, ich erkannte kaum einen roten Faden und das macht es schwer, inhaltlich zu folgen. Immer wieder kommt es dann zu Wiederholungen aus anderen Kapiteln, die vielleicht Sinn machen, wenn man das Buch nicht von vorne bis hinten liest. Allerdings bietet sich ein Springen im Buch nicht wirklich an, wenn man sich mit der komplexen Thematik stiller Kinder auseinandersetzen möchte.

Es macht eben auch unabhängig, wenn man gut mit sich selbst sein kann.

Antje Kunstmann: Lauter leise Kinder (Seite 181)

Die Autorin diskutiert lang und breit über die Unterschiede von introvertiert, schüchtern und hochsensibel, was ich im Prinzip gut fand, jedoch sind auch hier die Übergänge fließend und so lassen sich die Begriffe nicht immer klar voneinander abgrenzen. Mutismus wird allerdings dann mit keinem Wort erwähnt. Das finde ich schon sehr schade, weil es definitiv zum Thema „stille Kinder“ gehört und leider sowieso schon viel zu selten benannt wird. Bei einem Buch, dass sich genau dieser Thematik aber annimmt, hätte ich diesen Aspekt wirklich gerne zu Papier gebracht gesehen. Vor allem, da die Autorin Erfahrungsberichte einiger stiller Kinder anfügt und einer davon (S. 135/136) definitiv in des Spektrum des Mutismus fällt. Hier sollte mit einem gesonderter Blick drauf hingewiesen werden, dass nicht jedes stille Kind sich dazu entscheidet, weniger zu sprechen. Sondern dass es eben auch den Fall gibt, dass sie einfach in gewissen Situationen nicht sprechen können. Das hat dann nichts mehr mit dem eigenen freien Willen zu tun. Das Kind in dem oben erwähnten Erfahrungsbericht ist nicht einfach nur still, es ist blockiert. Erst gegen Ende des Buches reißt die Autorin das Thema Angststörungen an. Viel zu spät, wie ich finde.

Gut empfand ich aber die Darstellung, welche Bereicherung leise Kinder sein und welche Begabungen daraus resultieren können. Was leise Kinder durch ihre Ruhe und den häufigen Fokus nach innen, sowie ihrer Beobachtungsgabe alles lernen und erfassen können zum Beispiel. Dass ihre Konzentration, die Detailwahrnehmung, die Empathie, das analytisches Denken und die Beharrlichkeit Eigenschaften sind, die in unserer Gesellschaft enorm wichtig sind. „Ich bin gern allein.“ ist da eine häufige Aussage, die zeigt, dass es okay ist, introvertiert und nicht immer mit vielen Menschen in einer Gruppe unterwegs zu sein. 

Im fünften Abschnitt des Buches dreht sich dann alles um die Stärken stiller Kinder. Am Ende der einzelnen Unterkapitel bietet die Autorin ein paar Strategien an, die sich aber doch öfters wiederholen. Das macht wohl Sinn, wenn man quer liest, als chronologischer Leser möchte man irgend wann aber einfach nur noch weiterblättern. Diese Wiederholungen spiegeln auch die Texte an sich wieder. Es dreht sich eigentlich immer wieder alles um die selben Themen. Ständig werden Vergleiche zwischen extrovertiert zu introvertiert gemacht. Gleichzeitig sollte aber doch einfach der Fokus auf die leisen Kinder gesetzt werden, das ginge auch ohne ständige Vergleiche.

Die lauter werdende Welt verändert das Leben der Leisen.

Antje Kunstmann: Lauter leise Kinder (Seite 219)

Ein besonderes Augenmerk liegt immer wieder auf der Schule und der mündlichen Mitarbeit. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass es zum Problem werden kann, wenn man sich mündlich nur selten beteiligt, weil man eben ein stiller Mensch ist. Sowas zieht sie Noten runter und immer wieder wird von den leisen Kindern erwartet, dass sie aus sich herauskommen, dass sie sich verbiegen, damit sie in das veraltete Bewertungssystem der Schule reinzupassen haben. Besonders Lehrer erfahren in diesem Buch, wieso leise Kinder im Unterricht wenig sprechen. Sie erkennen dann vielleicht auch, dass man leisen Schülern einfach etwas mehr Zeit geben sollte, damit sie alles zu Ende gedacht haben, um Sicherheit zu bekommen und weil sie nicht platt einfach Dinge wiederholen wollen, weil das, was sie beitragen, den Unterricht voranbringen soll.

Lauter leise Kinder ist vielleicht eher etwas für Menschen, die stille Leute verstehen wollen, weil sie es bisher nicht begreifen konnten. Für mich, als Mutter eines stillen Kindes, war hier nichts Neues dabei. Ich brauchte keine Bestätigung, das mein Kind genau so richtig und gut ist, wie es ist. Aber vielleicht gibt es ja da draußen tatsächlich Eltern, die diese Bestätigung benötigen. Ich hab ein introvertiert Kind, war in meiner Jugend auch eher introvertiert, und hab vielleicht von Natur aus ein besseres Verständnis dafür. Für mich was das hier Geschriebene alles selbstverständlich. Für den ein oder anderen Lehrer könnte die Lektüre dieses Buches aber ein AHA-Erlebnis sein.

Antje Kunstmann
Lauter leise Kinder – Vom Glück, ein introvertiertes Kind zu haben
256 Seiten
ISBN 978-3-8649-3230-4

*Vielen Dank an den Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.*

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