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Jidi & Ageng: Der freie Vogel fliegt (Band 1-3). chinabooks, Uitikon-Waldegg 2018

Eine aufschlussreiche Comic-Reihe über das Schulsystem Chinas.

Über Lovelybooks bin ich auf die Comic-Reihe Der freie Vogel fliegt von Jidi und Ageng aufmerksam geworden. Diese Reihe basiert auf dem gleichnamigen Roman der Autorin Jidi und hat starke autobiographische Züge. Die Reihe ist durchgehend farbig illustriert und beinhaltet sowohl die deutsche, als auch die chinesische Version. Wer mehr über das chinesische Schulsystem erfahren möchte, sollte sich diese Reihe einmal näher anschauen.

Jidi, die eigentlich Yale Zu heißt, ist eine bekannte chinesische Künstlerin und Autorin. 2004 debütierte sie mit ihrem ersten Buch Mein Weg. Bisher sind bereits 32 Bücher von ihr veröffentlich worden, einige von ihnen wurden ins französische übersetzt. Jidi ist als Bilderbuch- und Graphic-Novel Künstlerin tätig, schreibt aber auch Romane und ist Designerin und Redakteurin.
Ageng (auch hier handelt es sich um einen Künsternamen) ist ebenfalls in China sehr bekannt. Sie arbeitet als Illustratorin und Zeichnerin im Bilderbuch- und Comicbereich. Außerdem unterrichtet sie an einer Kunstschule. Sie erhielt sowohl in China als auch im Ausland diverse Auszeichnungen. An der 6-teiligen Comic-Reihe Der freie Vogel fliegt arbeitete Ageng über zehn Jahre lang.

Die Comic-Reihe Der freie Vogel fliegt erschien in China unter dem Titel Standing on your tiptoe und basiert auf dem gleichnamigen Roman von Jidi. Die Reihe behandelt die Mittelschuljahre in China und die typischen Probleme Jugendlicher während dieser Zeit.

Band 1 konzentriert sich dabei stark auf das chinesische Schulsystem, den Leistungsdruck, unter dem die Schüler leiden und den gesellschaftlichen Ansichten beispielsweise bezüglich Scheidungskindern. Die Hauptprotagonistin Lin Xiaolu ist ein sehr phantasievolles Mädchen. Wenn ihr das Leben über den Kopf wächst, flieht sie in ihre Gedankenwelt. Während ihrer Mittelschulzeit entdeckt sie den Jungen Han Che, den sie beginnt zu stalken, ohne dass dieser sie je wahr nimmt.

Band 2 führt die Geschichten der Nebenprotagonisten näher aus. Lin Xiaolu, die eigentlich sehr menschenscheu ist, beginnt Freundschaften zu knüpfen. Die Handlung rückt etwas vom Schulwesen ab und in das Privatleben der Jugendlichen hinein. Die verschiedenen zwischenmenschlichen Beziehungen werde durch Lin Xiaolus Augen näher beleuchtet, ihre Phantasie macht aus tristem, grauem Alltag immer wieder farbenprächtige Situationen.

Band 3 wendet sich wieder stärker dem Leistungsdruck durch Lehrer und Eltern zu. Lin Xiaolu steht mehr als Beobachterin am Rand, während die Schicksale ihrer Freunde und Mitschüler ins Zentrum treten. Die sonst so erfolgreiche Cousine Ruirui nimmt sich aufgrund des Leistungsdrucks und wegen eines einmaligen Versagens das Leben. In diesem Band gibt es starke Anklagepunkte an die Lehrer sowie die Eltern, die dafür verantwortlich sind, dass die Kinder sich in der Not nicht an sie wenden, sondern eigene Auswegen suchen.

„Ihr Erwachsenen lehrt uns doch immer, dass wir nicht stolz auf unsere Erfolge sein sollen. Warum sagt ihr uns nicht, dass wir bei unseren Misserfolgen die Hoffnung nie aufgeben dürfen?“ (Band 3, Seite 80)

Lin Xiaolu hat sich wirklich witzige Überlebensstrategien für die zwischenmenschlichen Interaktionen angeeignet. Diese werden bildlich und farbenfroh dargestellt und erscheinen uns manchmal sogar eher als ungewöhnlich und peinlicher, als die eigentliche Situation, aus welche Lin Xiaolu gerade fliehen möchte.
Der enorme schulische Leistungsdruck in China war mir zwar bekannt, die Ausmaße aber dennoch nicht bewusst. Die ständige abendliche Stillarbeit, die Sitzordnung nach Leistung (gut vorne, schlecht hinten), die Fernsehberichterstattung über die Abschlussjahrgänge und die allgemein sehr öffentliche Behandlung der Klausurergebnisse sowie die Zurschaustellung von Erfolg und Versagen setzen sie Kinder unter einen enormen Druck, dem einige nicht gewachsen sind. Auch die Eltern erwarten immer nur gute Ergebnisse und gleichzeitig honorieren sie gute Noten nicht, sondern weisen immer wieder daraufhin, was noch besser wäre. Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern scheint größtenteils stark gestört zu sein und von Misstrauen und Lügen dominiert.

„Je mehr man einem Kind vertraut, umso weniger sind eigensinnige Eskapaden zu erwarten. Doch werden Kinder rigoros überwacht und bekommen immer Druck von oben, werden sie zu Meisterlügnern und gekonnten Schauspielern. Die Kinder schämen sich dann auch nicht, wenn sie in ihren Eltern nur den Gegner sehen.“ (Band 3, Seite 132)

Die Schriftgröße ist in der deutschen Übersetzung leider recht klein geraten, was bei mir, neben dem starken Eigengeruch der bunt bedruckten Seiten, leider für Kopfschmerzen gesorgt hat. Deswegen gibt es für das Lesevergnügen einen Stern Abzug.
Die Buchreihe gibt auf eine behutsame aber auch sehr offene Weise Aufschluss über das chinesische Schulsystem und verschiedene gesellschaftliche Konventionen. Der autobiographische Charakter lässt darauf schließen, dass die Ereignisse nicht aus der Luft gegriffen sind und zumindest zum Teil das Schulsystem in China erbarmungslos und wahrheitsgetreu geschildert wird.

Jidi & Ageng
Der freie Vogel fliegt  (Band 1 von 6) 
296 Seiten
ab 14 Jahren
978-3-905816-72-3

Jidi & Ageng
Der freie Vogel fliegt (Band 2 von 6)
308 Seiten
ab 14 Jahren
978-3-905816-73-0

Jidi & Ageng
Der freie Vogel fliegt (Band 3 von 6)
296 Seiten
ab 16 Jahren
978-3-905816-74-7

2 Gedanken zu „Jidi & Ageng: Der freie Vogel fliegt (Band 1-3). chinabooks, Uitikon-Waldegg 2018

  • Mi Hua

    Being a Chinese living in Germany, I would say my first motivation to read Der Freie Vogel Fliegt (Band 1-3) was to improve my German language skills. As I slowly got into the story, I was totally captured by what was happened to the characters in the story. The description of the Chinese school system in the books truly reflect the reality. The story reminds me of my school years many years ago in China. I can see myself in the story as when I was in their ages. As a matter of fact, the rigid school system and the importance of the annual Colleague-Entrance-Examination still haunt me even after more than 30 years since I graduated from my high school in China. For most of the Chinese parents, it is not only for the better future of the child but also the honour of the family that their children must go to an university. Fail to do so, it is considered shame to the family and loser of the child.

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    • Maike Kubitza

      Thanks for sharing your own experiences with us. It answers all my open questions and it makes me sad to know, that those conditions exists for so many decades and no one sees the need for changes.

      Antwort

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